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Fehlende Präsenz der BWL in der Corona-Pandemie


Die öffentliche Diskussion der Corona-Pandemie und der durch sie verursachten sozialen und ökonomischen Folgen wird dominiert von Medizinern und Volkswirten, die Betriebswirtschaftslehre spielt hingegen keine nennenswerte Rolle. Kann oder will die BWL hier keinen Beitrag leisten?


Die Corona-Krise hat uns seit rund einem Jahr feste im Griff mit massiven gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen: Menschen gehen nur noch mit Schutzmasken aus dem Haus, berufliche Tätigkeiten werden soweit wie möglich ins Homeoffice verlagert und zahlreiche Einzelhandelsunternehmen und Dienstleister müssen ihre Geschäfte schließen. Die wirtschaftlichen Probleme vieler Unternehmen und Selbständiger werden von Woche zu Woche größer, die Folge sind eine steigende Zahl an Unternehmensinsolvenzen und Konkursen.

 

Das Thema „Corona“ ist in den Medien omnipräsent. Zumindest im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird das Thema breit diskutiert, in einschlägigen Talkshows finden andere Themen kaum noch Platz. Festzustellen ist dabei, dass die öffentliche Diskussion über die Pandemie meiner Wahrnehmung nach neben Politikern weitgehend von Virologen, Epidemologen, Psychologen und Volkswirten dominiert wird. Die Betriebswirtschaft hingegen kommt in der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Thema praktisch nicht vor.

 

Nun ist es keinesfalls so, dass die Medizin, die Psychologie oder die Volkswirtschaftslehre in Zeiten der Pandemie nicht von größtem Nutzen wären, die Beiträge vieler sehr geschätzter Kolleginnen und Kollegen zeugen praktisch täglich davon. Erstaunlich finde ich allerdings, dass die BWL offenbar nicht in der Lage ist oder es ihr am Willen fehlt, sich in diese Diskussion adäquat einzubringen. Bereits im Sommer des vergangenen Jahres haben die Kollegen Hutzschenreuter und Friedl in einem Beitrag in der ZEIT auf den Bedeutungsverlust der BWL hingewiesen. Dabei handle es sich jedoch nicht nur um eine Momentaufnahme in Zeiten der Pandemie, sondern vielmehr um eine längerfristige Entwicklung. Ähnlich kritisch äußert sich auch Georg Giesberg in einem Beitrag in der FAZ im Herbst 2020, in dem er die Meinung vertritt, die BWL beschäftige sich zu sehr mit sich selbst und zu wenig mit der Gesellschaft. Und schließlich setzen sich fünf Autoren gemeinsam in der Streitschrift „Erfolgsfaktor Betriebswirtschaftslehre: Was leistet sie und warum wir sie brauchen“ kritisch mit der Bedeutung der BWL für die Gesellschaft auseinander.

 

Die Wirtschaftsleistung einer Ökonomie wird zu großen Teilen von Unternehmen erbracht. Somit hat jedes volkswirtschaftliche Problem letztlich auch immer betriebswirtschaftliche Konsequenzen. Weil so viele Unternehmen unter den massiven ökonomischen Folgen der Pandemie leiden, ist die Liste an Problemen, zu deren Lösung die Betriebswirtschaftslehre in Zeiten von Corona einen Beitrag leisten kann, lang. Sie reicht von naheliegenden Fragestellungen bezüglich alternativer Leistungsangebote und Vertriebswege über kreative Konzepte der Unternehmensfinanzierung bis hin zu Fragen in den Bereichen Human Resources und Organisation wie beispielsweise neue Formen einer dezentralen Arbeitsorganisation, Aspekte der virtuellen Mitarbeiterführung sowie die Gestaltung alternativer Anreizsystemen. Und sicherlich wäre es falsch anzunehmen, Betriebswirte würden hier Unternehmen keine Hilfestellungen anbieten. Allerdings tauchen diese Themen nicht in der öffentlichen Diskussion auf. Dabei könnten Personalwissenschaftler die Politik bei der angestrebten Ausweitung von Homeoffice-Konzepten sicherlich ebenso unterstützen wie Organisations-, OR- und Logistikwissenschaftler bezüglich der durchaus problembehafteten Organisation von Massenimpfungen oder dem komplexen Problem der Öffnung von Kitas und Schulen.

 

Ich würde mir wünschen, dass sich die Betriebswirtschaftslehre als Fachdisziplin sehr viel stärker mit ihrem Wissen und ihrer Expertise an diesem Diskurs beteiligt. Auf diese Weise könnte die BWL nicht nur individuelle Unterstützung für betroffene Unternehmen anbieten. Durch die Beteiligung an der Lösung gesellschaftlicher Probleme und Fragestellungen würde sie ein Stück öffentliche Bedeutung zurückgewinnen. Dieser Aspekt wurde offenkundig zu lange vernachlässigt.

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