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Homeoffice-Pflicht?


Um die Anzahl der Corona-Neuinfektionen endlich wirksamer in den Griff zu bekommen, diskutiert die Politik über eine Ausweitung des Lockdowns sowohl im gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Bereich. Für letzteren sind Maßnahmen wie eine weitreichende Drosselung der Industrieproduktion ebenso im Gespräch wie die gesetzliche Verpflichtung zum Homeoffice. Beide potenziellen Maßnahmen müssen jedoch kritisch hinterfragt werden.


Vor dem morgen stattfindenden, vorgezogenen Gipfel der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten hat die Diskussion über wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wieder neue Fahrt aufgenommen. Nachdem der im Dezember beschlossene „Lockdown light“ den Anstieg der Fallzahlen zwar abgebremst, nicht jedoch zu einer Trendwende geführt hat, ist nun eine Ausweitung und Verschärfung der Beschränkungen im Gespräch.

 

Einige meiner Kollegen haben der Forderung nach einer weitreichenden Drosselung der Industrieproduktion, einem sogenannten „Wirtschaftslockdown“ bereits eine klare Absage erteilt. Während einige Politiker wie der Ministerpräsident von Thüringen Bodo Ramelow oder der Weltärztepräsident Ulrich Montgomery die Reduzierung oder Stilllegung großer Teile der Industrieproduktion für gerechtfertigt oder gar erforderlich halten, warnen viele Wirtschaftswissenschaftler vor den erheblichen Risiken eines solchen Schrittes.

 

Auch die zweite potenzielle Maßnahme zur Bekämpfung der Pandemie, nämlich die Verpflichtung zum Arbeiten im Homeoffice, wird kontrovers diskutiert. Zunächst dürfte Homeoffice zweifelsfrei geeignet dazu sein, die Ausbreitung des Corona-Virus zu einzudämmen. Je weniger Menschen sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg zur Arbeit machen und je weniger sie in physischer Präsenz miteinander interagieren, umso stärker wird sich die Verbreitung des Virus begrenzen lassen. Aber trägt ein solcher Schritt tatsächlich auch allen anderen Aspekten unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens adäquat Rechnung?

 

Ich will an dieser Stelle nicht der Frage nachgehen, ob in Deutschland gegebenenfalls eine gesetzliche Grundlage für ein verpflichtendes Homeoffice bestehen würde oder nicht. Diskutieren möchte ich vielmehr, ob verpflichtendes Homeoffice überhaupt eine Option sein kann. Dies vor allem deshalb, weil eine signifikante Ausweitung von Homeoffice von mindestens drei Voraussetzungen abhängt, über die meiner Wahrnehmung nach zu wenig diskutiert wird.

 

Erstens stellt sich die Frage, wie stark eine flächendeckende Einführung von Homeoffice die Effektivität und Effizienz von Unternehmen beeinflussen würde. Mitarbeitende sind in ihrer Aufgabenverrichtung häufig in stark arbeitsteilige Prozesse mit zahlreichen Schnittstellen eingebunden. Während eine gemeinsame Verrichtung solcher Tätigkeiten vor Ort zahlreiche Möglichkeiten der Interaktion mit Kollegen ermöglicht, ist die Koordination aus dem Homeoffice deutlich komplexer und aufwändiger. Entsprechende Erfahrungen dürften bei den meisten Mitarbeitern bislang fehlen. Gleichzeitig sind jedoch viele Tätigkeiten, die theoretisch auch aus dem Homeoffice erfüllt werden könnten, in einem hohen Maß systemrelevant. Eine Reduzierung der Güte der Aufgabenerfüllung hätte also möglicherweise drastische ökonomische Folgen. Beispielsweise stellt sich die Frage nach den Konsequenzen für das Gesamtsystem, wenn Unternehmen wie Banken, Versicherungen oder große Teile der Verwaltung produzierender Unternehmen nur noch eingeschränkt funktionieren würden.

 

Die zweite Voraussetzung besteht in einer adäquaten technischen Ausstattung der Mitarbeitenden für die Arbeit von Zuhause. Dabei ist nicht nur die Verfügbarkeit der entsprechenden Arbeitsmaterialien inklusive der notwendigen IT-Hardware relevant, vielleicht entscheidender dürften Fragen wie Zugang zu unternehmensinternen Daten und damit verbunden Aspekte des Datenschutzes sein. Wie schwierig allein schon die Ausstattung hunderttausender Mitarbeiter mit entsprechenden IT-Endgeräten sein dürfte, zeigt ein Blick in die Schulen. Dort wurde zwar schon zu Beginn des Schuljahres die Ausstattung von Kindern aus sozial schwachen Familien mit internetfähigen Endgeräten für den Online-Unterricht beschlossen, bis heute sind diese Geräte jedoch noch nicht verfügbar – zumindest nicht hier in Freiburg.

 

Schließlich stellt die Bereitschaft von Mitarbeitenden und Kunden die dritte Voraussetzung für Homeoffice dar. In einem Kommentar in der Wirtschaftswoche von vorgestern weist der Autor Konrad Fischer darauf hin, dass die Mitarbeitenden gegenüber Homeoffice häufig kritischer eingestellt sind als die Unternehmen selbst. Die Gründe hierfür sind vielschichtig, sie reichen von Befürchtungen hinsichtlich negativer Karriereimplikationen bis hin zur fehlenden Bereitschaft, die Verantwortung zur weitreichenden Neuorganisation der eigenen Tätigkeit zu übernehmen. Umgekehrt müssen Kunden bereit sein, Friktionen in der Leistungserbringung zu akzeptieren. Als ich kürzlich eine Frage an meine Versicherung hatte, erhielt ich die Aussage, ich solle den zuständigen Mitarbeiter erst nach 14:00 anrufen, er wäre im Homeoffice und seine Zwillinge wären gerade anstrengend.

 

Der letzte Punkt mag mit Blick auf den eigentlichen Zweck, nämlich die Bekämpfung der Pandemie, der am wenigsten problematische sein. Er erfordert ein individuelles Umdenken, und wir können erwarten, dass ein solches Umdenken von jedem Einzelnen mit Blick auf den Ernst der Lage nicht zu viel verlangt ist. Schwieriger wird es hingegen, wenn wir uns mit den Fragen der Machbarkeit und Durchführbarkeit einer solchen Maßnahme befassen. Hier sind neben kurzfristigen Erfordernissen wie im Fall einer Drosselung der Industrieproduktion vor allem die langfristigen Folgen für das Gesamtsystem der Wirtschaft zu bedenken.

 

Vor diesem Hintergrund liegt der Schluss nahe, dass eine Pflicht zum Homeoffice vermutlich weder realisierbar noch sinnvoll sein dürfte. Tatsächlich wird es darauf hinauslaufen müssen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam verantwortungsvoll entscheiden, welche Möglichkeiten für eine maximal denkbare Ausweitung von Homeoffice in ihrem Betrieb umsetzbar sind. Dies erfordert ein wechselseitiges Vertrauen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, aber auch ein Vertrauen der Politik und der Gesellschaft, dass freiwillige Regelungen effektiver sein können als verpflichtende oder angeordnete Verhaltensweisen.

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